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Kollektiver Quanteneffekt: Wenn Elektronen zusammenhalten

Viele Himmelskörper wie Sterne oder Planeten enthalten Materie, die hohen Temperaturen und Druck ausgesetzt ist – Fachleute sprechen von warmer dichter Materie (WDM). Obwohl dieser Zustand auf der Erde nur im Erdkern vorkommt, schafft die Erforschung der WDM grundlegende Voraussetzungen für zahlreiche Zukunftsbereiche wie saubere Energie, härtere Materialien oder ein besseres Verständnis unseres Sonnensystems. Ein Team um den Physiker Dr. Tobias Dornheim vom Center for Advanced Systems Understanding (CASUS) zeigt nun in einer kürzlich in Physical Review Letters erschienenen Studie (DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.085001), dass sich warme dichte Materie deutlich anders verhält als angenommen, was ihre bisherige Beschreibung in Frage stellt.

Um den exotischen Zustand warmer dichter Materie auf der Erde erforschen zu können, erzeugen ihn Wissenschaftler*innen künstlich im Labor. Das gelingt ihnen unter anderem über Kompression durch leistungsstarke Laser. „Eine Probe, beispielsweise Kunststoff- oder Aluminiumfolie, wird dabei mit einem Laserstrahl beschossen, heizt sich an der Oberfläche sehr stark auf und wird durch die dadurch entstehende Schockwelle komprimiert. Durch den Einsatz eines Röntgenlasers, wie etwa dem European XFEL in Schenefeld in der Nähe von Hamburg, können anschließend die resultierenden Spektren – das heißt, wie sich die Probe unter diesen Bedingungen verhält – auf Detektoren aufgenommen werden und in einem Bereich von 10­-10 m (1 Ångström) deren Materialeigenschaften bestimmt werden“, erläutert Dr. Jan Vorberger vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) und fügt hinzu: „Wichtige Parameter wie die Temperatur oder die Dichte können jedoch nicht direkt gemessen werden. Hierfür sind zur Auswertung der WDM-Experimente theoretische Modelle von zentraler Bedeutung.“

System reagiert schwächer je stärker es gestört wird

Solche Simulationsmodelle für die theoretische Beschreibung warmer dichter Materie entwickelt Tobias Dornheim. Je stärker die Proben – so genannte Targets – durch Laserbestrahlung gestört werden, das heißt je stärker die Elektronen also in diesen Materialien angeregt werden, umso stärker reagieren sie. Bisher stützten sich die Berechnungen ausschließlich auf die Annahme einer „linearen Reaktion”. In ihrer neuen Veröffentlichung zeigen Dr. Tobias Dornheim von CASUS, Dr. Jan Vorberger vom HZDR und Prof. Dr. Michael Bonitz von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel nun aber, dass das System entgegen dieser Annahme deutlich schwächer reagiert je stärker die Störung ist. Die Ergebnisse haben weitreichende Auswirkungen für die Interpretation von Experimenten mit warmer dichter Materie. „Mit dieser Studie haben wir die Grundlage für viele neue Entwicklungen zur theoretischen Beschreibung warmer dichter Materie gelegt“, schätzt Dornheim ein, „und die nichtlinearen Eigenschaften von warmer dichter Materie werden in den nächsten Jahren sicherlich weiter intensiv erforscht werden.”

Ihre Ergebnisse basieren auf umfangreichen Computer-Simulationen unter Anwendung der quantenstatistischen Pfad-Integral Monte-Carlo Methode (PIMC). Die Grundlagen der Methode legte Richard Feynman bereits in den 1950er Jahren. Dr. Dornheim hat in den letzten Jahren erfolgreich verbesserte Algorithmen geschrieben, um Berechnungen effizienter und schneller durchführen zu können. Dennoch, für ihre Studie rechneten Supercomputer auf mehr als 10.000 CPU-Kernen für mehr als 40 Tage. Zum Einsatz kamen dabei die High Performance Cluster Hypnos und Hemera des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR), der Cluster Taurus am Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen (ZIH) der Technischen Universität Dresden, Rechner beim Norddeutschen Verbund für Hoch- und Höchstleistungsrechnen (HLRN) sowie am Rechenzentrum der Universität Kiel.

WDM könnte wichtige Rolle für Energiewirtschaft spielen

Die Erforschung von warmer dichter Materie ist nicht nur von Bedeutung, um den Aufbau von Planeten wie Jupiter und Saturn oder unseres Sonnensystems und dessen Entwicklung zu verstehen, sondern findet auch Anwendung in den Materialwissenschaften, zum Beispiel bei der Entwicklung von super-harten Materialien. Die wichtigste Rolle könnte sie jedoch für die Energiewirtschaft spielen, indem sie Beiträge liefert für die Realisierung der Trägheitsfusion – eine fast unerschöpfliche und saubere Energiequelle mit Zukunftspotential.

Tobias Dornheim ist Computerphysiker mit dem Forschungsschwerpunkt Monte-Carlo-Methoden. Er promovierte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zur Beschreibung des homogenen Elektronengases unter den Bedingungen der warmen dichten Materie mit der Pfadintegral-Monte-Carlo-Methode. 2018 erhielt er den U30 Nachwuchs-Preis der Abteilung für Plasmaphysik der Vereinigung Asiatisch-Pazifischer Physikalischer Gesellschaften in Japan. Für seine Doktorarbeit wurde er 2019 mit dem Fakultätspreis der Universität Kiel sowie mit dem "Nanophysics PhD Award" des Kieler Forschungsschwerpunktes Kiel Nano, Surface and Interface Science (KiNSIS) ausgezeichnet. Dr. Dornheim ist seit März 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich warme dichte Materie am Center for Advanced Systems Understanding in Görlitz und kann hier seine Forschungen in einem interdisziplinären Team fortsetzen.

Publikation:

T. Dornheim, J. Vorberger, M. Bonitz: Nonlinear Electronic Density Response in Warm Dense Matter, in Physical Review Letters, 2020 (DOI: 10.1103/PhysRevLett.125.085001)

Das Center for Advanced Systems Understanding (CASUS) wurde 2019 in Görlitz gegründet und betreibt digitale interdisziplinäre Systemforschung in unterschiedlichen Bereichen wie Erdsystemforschung, Systembiologie und Materialforschung. Innovative Forschungsmethoden aus Mathematik, theoretischer Systemforschung, Simulation, Daten- und Computerwissenschaft werden eingesetzt mit dem Ziel, komplexe Systeme von bisher nie dagewesener Realitätstreue abzubilden und so zur Lösung drängender gesellschaftlicher Fragen beizutragen.

Kooperationspartner sind das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ), das Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden (MPI-CBG), die Technische Universität Dresden (TUD) und die Universität Wrocław.

Das Zentrum wird aus Mitteln des Bundeministeriums für Bildung und Forschung und des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus gefördert.

www.casus.science

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