Bis zu 100 Terabyte an individuellen, meist sehr heterogenen Daten fallen bei Krebspatienten oft im Laufe ihrer Krankheitsgeschichte an: Blut- und Tumorwerte, persönliche Indikatoren, Sequenzier- und Therapiedaten und vieles mehr. Bislang können diese Informationen in ihrer Fülle aus Mangel an geeigneten Verarbeitungsmechanismen kaum effizient genutzt werden. So bleiben vielversprechende personalisierte Therapieansätze bei vielen Krebserkrankungen Theorie, die Patienten erhalten Standardbehandlungen.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg will die Forschung auf diesem Gebiet nun mithilfe von Quantencomputing vorantreiben: »Wir wollen ergründen, wie wir mit einem Quantencomputer solche heterogenen Daten systematisch aufbereiten und nutzen können, um damit neue, gezieltere Wege zu finden für Patienten, bei denen Immuntherapien weniger wirksam sind. Die übergeordnete Frage lautet letztlich: Wie kann welcher Patient von welcher Therapie profitieren?«, sagt Dr. Niels Halama, Abteilungsleiter Translationale Immuntherapie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Oberarzt am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen. Damit verbunden sind angewandte Forschungsfragen wie: Welche Signalkaskaden und biologischen Prozesse spielen eine Rolle bei der Erkrankung? Wie können wir diese für eine individuelle Therapieauswahl nutzen? Welche Fragestellungen eignen sich überhaupt dafür, um von Quantenrechnern gelöst zu werden?
Vom Simulator auf den echten Quantenrechner
Die mathematischen Grundlagen hat das Team des DKFZ bereits erarbeitet und erste Erfahrungen schon an anderen weltweit verfügbaren Systemen und an Simulatoren gesammelt. Es sei jedoch ein riesiger Unterschied, sagt Halama, ob man an einem Simulator mit perfekten Qubits arbeitet oder an einem richtigen Quantencomputer wie dem IBM Q System One in Ehningen. Erst dort sieht man, wie stabil er bei einer gewissen Komplexität läuft, wo Fallstricke sind, was möglich ist.
Am Ehninger System wollen die Forschenden ihre Ideen nun anwendungsnah weiterentwickeln und konkretisieren. Nun geht es darum, herauszufinden, welche Algorithmen sich zur Informationsverarbeitung eignen, wie sie angepasst oder gegebenenfalls neu entwickelt, aber auch wie etwa Fehlerkorrekturen noch optimiert werden können. Um die Möglichkeiten von Quantencomputing für neue Krebstherapieansätze auch interdisziplinär zu erforschen, sucht das DKFZ-Team noch weitere Kooperationspartner aus verschiedenen Bereichen der Forschung und Industrie.
»Wir freuen uns sehr das DKZF als Kooperationspartner gewonnen zu haben«, sagt Prof. Raoul Klingner, Direktor Forschungsmanagement und –governance der Fraunhofer-Gesellschaft. »Der Einsatz des Quantencomputers in einem so komplexen und bedeutenden Feld wie der personalisierten Krebstherapie verdeutlicht das Potenzial, das Quantencomputing für die Medizin und zahlreiche Branchen darüber hinaus bietet.«
Datenschutz, Schnelligkeit und Flexibilität sind wichtige Kriterien
Einen hohen Stellenwert bei der Arbeit mit dem Quantencomputer haben für Halama drei Dinge: Datenschutz, Schnelligkeit und Flexibilität. Noch arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Testdaten, doch wenn künftig echte Patientendaten zum Einsatz kommen, »ist es ein großer Pluspunkt, dass der Ehninger Quantencomputer unter deutschen Datenschutzrecht läuft und die Daten lokal vor Ort bleiben«, so der Mediziner. Die Schnelligkeit von Berechnungen, die Quantencomputing in Zukunft herkömmlichem Computing überlegen machen könnte, ist ein weiteres wichtiges Kriterium, denn bei Krebspatienten zählt schlicht jeder Tag und schnelle Entscheidungen sind gefragt. Da Quantenprozessoren Daten parallel statt hintereinander verarbeiten können, haben sie das Potenzial, auch große Datenmengen in einem Bruchteil der Zeit zu analysieren, die normale Computer brauchen.
Interessant ist laut dem Mediziner zudem das flexible, monatliche Ticketmodell, das das Fraunhofer-Kompetenznetzwerk Quantencomputing seinen Partnern anbietet. »Das ermöglicht es uns als akademische Einrichtung das System flexibel nach Bedarf zu nutzen, auch ohne über einen langen Zeitraum beträchtliche Summen zu investieren«, freut sich Niels Halama. »Zudem ist Fraunhofer für uns ein wichtiger wissenschaftlicher Partner, mit dem wir die Brücke zur Anwendung und zum Wohl der Patienten schlagen können.«
Über das DKFZ
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
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